Musik-Streaming als Klimakiller?

Bild: Adobe Stock/Swico

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Der Fussabdruck der Digitalisierung beträgt gerade mal nur 3%. In Anbetracht ihres riesigen Einsparpotentials an CO2 ist das nicht viel. Oder doch? Eine neue Studie der Universität Zürich und des GDI untersucht erstmals systematisch die Effekte digitaler Produkte und Dienstleistungen auf den Klimawandel – von der Bereitstellung bis zum Einzelkonsum. Die Untersuchung zeigt auf, wo Anbieter und Konsumenten eingreifen können, um Treibhausgas-Emissionen zu vermeiden.

Was hat der Mega-Hit «Despacito» mit den Ländern Tschad, Guinea-Bissau, Somalia, Sierra Leone und der Zentralafrikanischen Republik gemeinsam? Mit weltweit 4.6 Milliarden Streams in weniger als einem Jahr verbrauchte das Lied gleich viel Strom wie alle fünf Länder zusammen. Digitale Produkte und Dienstleistungen sind fester Bestandteil aller Lebensbereiche und haben während der Pandemie stark an Beliebtheit gewonnen. Videokonferenzen, Online Essensbestellungen und Streaming von Filmen und Musik haben die Schweizer Haushalte erobert und viele ineffiziente Produkte und Dienstleistungen ersetzt. Doch führt diese Substitution insgesamt zu einer Reduktion von Treibhausgasen, oder machten Rebound-Effekte die Fortschritte wieder zunichte? Ab wann lohnt sich das Lesen einer Zeitung auf einem Reader, und wie klimafreundlich ist das Home Office tatsächlich? Eine neue Meta-Studie der Universität Zürich und des GDI analysiert im Auftrag der Wirtschaftsverbände Swico und Swisscleantech nun erstmals umfassend die positiven und negativen Klimaeffekte von elf ausgewählten digitalen Produkten und Dienstleistungen und dröselt sie einzeln auf.

Unterschieden wird dabei erstens zwischen den Treibhausgaseffekten, die entstehen, wenn digitale Produkte und Dienstleistungen hergestellt oder entsorgt werden (Bereitstellungseffekt). Zweitens hat auch deren Nutzung Auswirkungen auf die Treibhausgasemissionen (Anwendungseffekt). Diese Anwendungseffekte können nicht pauschal als positiv oder negativ beurteilt werden, sondern erfordern eine differenzierte Betrachtung. So können einerseits Ressourcen eingespart werden, wenn bestehende Prozesse durch die Digitalisierung effizienter werden (Optimierungseffekte) oder konventionelle Produkte und Dienstleistungen ganz ersetzt werden (Substitutionseffekte). Andererseits ist der Zugang zu diesen Produkten und Dienstleistungen so praktisch und preisgünstig (etwa beim Streaming), dass dadurch die Nachfrage steigt und insgesamt mehr Treibhausgasemissionen verursacht werden (Reboundeffekt).

Im Ergebnis zeigt die Studie auf, wie wichtig die Bereitstellungs- und Anwendungseffekte bei den einzelnen Produkten und Dienstleitungen aus unterschiedlichen Kategorien sind:

Videostreaming und Musikstreaming:
Der Bereitstellungseffekt ist deutlich grösser als der Anwendungseffekt, insbesondere weil sehr viele Daten übertragen werden müssen. Ein Zurück zu konventionellen Alternativen wie DVDs ist nicht mehr denkbar. Anbieter:innen sollten darauf hin arbeiten, die Bereitstellung effizienter zu gestalten und konsumsteigernde Features wie beispielsweise «Autoplay» zu vermeiden. Nutzer:innen hingegen sollten unnötigen Konsum vermeiden und beispielsweise keine Videos im Hintergrund abspielen.

E-Book-Reader und Online-Zeitungen:
Die Bereitstellungs- und Anwendungseffekte sind etwa gleich gross. Ob die Print- oder Digitalausgabe klimafreundlicher ist, hängt vom individuellen Nutzungsverhalten ab. Gerade bei E-Books fällt die Herstellung des E-Book Readers stark ins Gewicht. Daher sollten Anbieter:innen die Effizienz bei der Herstellung der Endgeräte erhöhen und sicherstellen, dass diese möglichst langlebig sind. Konsument:innen sollten entweder Online- oder Printangebote, jedoch nicht beides nutzen, und möglichst wenige Endgeräte anschaffen und diese möglichst lange benutzen.

Mobilitätsdienste (z.B. E-Roller), Routenplanung und Navigation, Home-Office, virtuelle Meetings, Versandhandel:
Die Anwendungseffekte sind deutlich grösser als die Bereitstellungseffekte und haben das Potenzial, Emissionen zu vermeiden. Sie können aber auch zu Reboundeffekten – wie einer Zunahme des Autoverkehrs – führen. Anbieter:innen sollten daher überprüfen, ob die smarten Services tatsächlich zu einer Verkehrsreduktion oder einem Wechsel zu klimafreundlicher Mobilität führen. Konsument/innen sollten die digitalen Produkte und Dienstleistungen gezielt einsetzen, um emissionsintensive Prozesse wie Reisen oder den Transport von Gütern zu bündeln.

Grundsätzlich stellen die Studienautoren fest, dass digitale Produkte und Dienstleistungen gesamtgesellschaftlich betrachtet mehr Emissionen verursachen, als sie einsparen. Ursächlich dafür sind vor allem die Reboundeffekte: Die digitalen Produkte sind im Vergleich zu ihren analogen Vorgängern schneller, bequemer, leichter zugänglich, immer verfügbar, kostenlos, oder werden mit günstigen Flatrates angeboten, sodass der Konsum zunimmt und die Emissionen wieder ansteigen. Die Studie empfiehlt, künftige Massnahmen so auszurichten, dass die Digitalisierung in den Dienst des Klimaschutzes gestellt wird. Sie sollten allein auf Produktebene ansetzen, sondern müssen mit politischen Rahmenbedingungen einhergehen, die Anreize in Richtung Klimaschutz schaffen.

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