Profila und die HSLU entwickeln einen «KI-Anwalt»

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Datennutzungsbestimmungen von Unternehmen sind oft ein Buch mit sieben Siegeln. Ein intelligenter digitaler Assistent soll Laien bei Datenschutz-Fragen verständlich Auskunft geben oder ihnen Juristinnen aus Fleisch und Blut vermitteln. Die Hochschule Luzern entwickelt diesen «KI-Anwalt» gemeinsam mit der Data-Privacy-Plattform Profila.

Maria und Daniel haben sich für den Online-Lieferdienst einer Supermarkt-Kette angemeldet und dafür auch den Datennutzungsbestimmungen des Unternehmens zugestimmt – ein ellenlanges, schwer verständliches Dokument. Von nun an erhält die Familie zu ihrem Ärger fast täglich Werbung, nicht nur von der Supermarkt-Kette, sondern auch von deren Tochter-Unternehmen. «Dürfen die das?», fragen sich Maria und Daniel. Maria, Daniel und ihr Newsletter sind natürlich fiktiv. Vermutlich kennt aber jeder solche Beispiele aus dem Alltag. «Konsumentinnen und Konsumenten wissen oft nicht, was Unternehmen mit ihren Daten machen dürfen und wie sie sich gegen eine unerwünschte Nutzung dieser Daten wehren können», sagt Jurist Michiel Van Roey, Mitgründer von Profila, einer internationalen Plattform, die auf Data Privacy, Kundenbindung und Marketing spezialisiert ist. Die Hochschule Luzern und Profila arbeiten an einem gemeinsamen Projekt, das dies ändern soll: Die Forschenden wollen Maria und Daniel eine Art «KI-Anwalt» zu Seite stellen, der sie mit fachlichem Rat unterstützt. Der Anwalt kommt als Chatbot-App für Smartphones daher, vergleichbar mit digitalen Assistenten wie Siri oder Alexa. Der Chatbot wird den Nutzerinnen und Nutzern in Form von laienverständlichen Q&As Auskunft darüber geben, wie Unternehmen ihre Daten nutzen. Er kann sie aber auch bei der Datenverwaltung unterstützen: «Konsumentinnen und Konsumenten sollen einfacher selbst bestimmen können, wer Zugang hat zu ihren persönlichen Daten und wofür diese verwendet werden», sagt Michel Van Roey – im Fall von Maria und Daniel also, ob ihnen ein Tochterunternehmen der Supermarkt-Kette Werbung schicken darf.

«Juristische Antworten müssen präzise sein»

Hinter dem KI-Anwalt verbirgt sich eine intelligente Datenbank, die an der Hochschule Luzern entwickelt wird. Das Forschungsteam um Alexander Denzler vom Departement Informatik «füttert» den Algorithmus der Datenbank mit insgesamt fast einer Million Dokumenten, von Rechtsfällen und Gerichtsurteilen über Datennutzungs-Richtlinien von Behörden und Verbänden bis zu Allgemeinen Geschäftsbestimmungen von Unternehmen. Je mehr Daten dem System zur Verfügung stehen, desto besser lernt es, auf spezifische Fälle einzugehen, wie Denzler erläutert. Für die Informatik-Forschenden stellt die Spracherkennung eine besondere Herausforderung dar. Denn die meisten Nutzerinnen und Nutzer kennen die juristischen Fachausdrücke nicht. «Unsere Künstliche Intelligenz muss trotzdem in der Lage sein, zu verstehen, welche rechtlichen Probleme sich hinter einer Frage verbergen», sagt Denzler. «Wenn es um juristische Fragen geht, müssen die Antworten präzise sein.»

Im Zweifelsfall übernimmt der Mensch

Um sicherzustellen, dass der KI-Anwalt richtig funktioniert und sich nicht als digitaler Winkeladvokat entpuppt, werden die Juristinnen und Juristen von Profila die Datenbank mittels Testfragen auf Herz und Nieren prüfen. Im Sommer 2022 soll eine erste Version bereitstehen, die Fragen zuverlässig verstehen und beantworten kann. Je mehr das Programm genutzt wird, auf desto mehr neue Fälle und damit neue Daten wird es zurückgreifen können. Alexander Denzler betont, dass es immer Situationen geben wird, wo der KI-Anwalt keine zufriedenstellende Antwort wird liefern können, weil die Fragen zu spezifisch sind oder noch nie gestellt wurden. Somit fehlten der KI schlicht Referenzdaten. In solchen Fällen wird der Chatbot den Nutzern eine kurze Liste mit Juristinnen aus dem passenden Fachgebiet präsentieren, die gegen eine Gebühr von voraussichtlich etwa 10 Franken pro Frage zeitnah Auskunft geben können. Die Expertise dieser Profis wird anhand ihres Lebenslaufs sowie ihrer bisherigen Aktivitäten auf der App bestimmt.

Projektfinanzierung durch den Bund

Sobald die intelligente Datenbank bereit ist, wird das Forschungsteam damit beginnen, ein Netzwerk aus Juristinnen und Juristen aufzubauen, die bei der Profila-App mitmachen. Ziel ist, das Projekt bis 2023 abzuschliessen. Die erste Version der App wird nur deutsche Fragen verstehen. Falls sie sich bewährt, hoffen Alexander Denzler und Michiel Van Roey in einem zweiten Schritt eine Version für weitere nationale Märkte entwickeln zu können. Die Innovationsagentur des Bundes Innosuisse finanziert das auf zwei Jahre angelegte Projekt mit 550'000 Franken. Insgesamt beträgt das Projektvolumen 950'000 Franken.