Technische Studiengänge scheinen für junge Frauen wenig attraktiv zu sein. Eine soziologische Studie der UZH hat im Detail untersucht, was Schülerinnen am meisten abschreckt. Dabei spielen überholte geschlechtsspezifische Stereotypen – etwa vermeintliche Unterschiede im analytischen Denken – eine grosse Rolle.
Warum entscheiden sich so wenige Schulabgängerinnen für ein technisches Studienfach – trotz guter Noten in Mathematik, trotz hohen Gehältern und Fachkräftemangel im MINT-Bereich? Diese Frage beschäftigt die Gesellschaftswissenschaften schon lange – zumal Untersuchungen zeigen, dass Mädchen mathematisch generell gleich begabt sind wie Knaben. Möglicherweise spielen in der Gesellschaft verhaftete geschlechtsspezifische Stereotypen eine Rolle: Männer können logisch und abstrakt denken, Frauen sind eher kreativ. Männer sollen das Geld nach Hause bringen, Frauen kümmern sich um die Familie. Männer sind kompetitiv, Frauen scheuen das Risiko. Benita Combet vom Soziologischen Institut der Universität Zürich hat nun in einer Studie gezeigt, dass einige dieser Denkmuster tatsächlich ausschlaggebend für die Studienfachwahl sind.
Faktoren isoliert betrachten
Bisher tat sich die Wissenschaft schwer, die Frage nach den Beweggründen schlüssig zu beantworten. «Das Problem ist, dass viele dieser zum Teil auf falschen Vorstellungen beruhenden und daher nicht zwingend zutreffenden Charakteristiken in den Fächern simultan präsent sind», sagt Studienautorin Combet. So ist das Studium in den meisten MINT-Fächern mathematiklastig, es braucht eine Affinität zur Technik, der spätere Verdienst ist hoch, aber Teilzeitarbeit ist (noch) eher selten möglich. Welcher dieser Faktoren gibt denn nun den Ausschlag, sich für oder gegen ein Fach zu entscheiden? Combet wählte für ihre Untersuchung deshalb einen neuen Ansatz: Statt die Versuchspersonen über ihr Interesse an echten Studienfächern wie Mathematik oder Psychologie zu befragen, präsentierte sie ihnen fiktive Studienfächer, die sich gezielt in spezifischen Punkten unterschieden: beispielsweise in Bezug auf die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit oder die Anforderungen an analytisches Denken und emotionale Intelligenz. Dies ermöglichte ihr, die verschiedenen Faktoren bei ihrer Analyse voneinander zu entflechten. An der Befragung nahmen etwa 1'500 Schweizer Gymnasiastinnen und Gymnasiasten teil.
Alte Zöpfe abschneiden
«Überaschenderweise liessen sich die männlichen Schüler ausschliesslich von ihren Präferenzen für Mathematik und materialistische Werte wie Lohn und Prestige beeinflussen», so Combet. Die anderen Faktoren scheinen für sie nicht relevant zu sein. Ganz anders das Bild bei den jungen Frauen: Diese zeigten eine Aversion gegen Fächer, die analytisches statt kreatives Denken voraussetzten und im Berufsalltag wenig soziale und emotionale Fähigkeiten erforderten. Sie bevorzugten zudem weniger kompetitive Berufsfelder mit Möglichkeit zur Teilzeitarbeit. Entgegen der Erwartungen fühlten sie sich aber genau wie die Männer zu Berufen mit hohem Gehalt und Ansehen hingezogen. «Vor allem im Hinblick auf Faktoren wie logischer Denkstil und technische Fähigkeiten existieren noch starke geschlechtsspezifische Stereotypen, welche die Entscheidung der Gymnasiastinnen offensichtlich massgeblich beeinflussen», so Combet. «Wir sollten deshalb weiterhin daran arbeiten, diese stärker zu hinterfragen.» Zum Beispiel in Bezug auf das analytische Denken – hier ist wissenschaftlich keineswegs nachgewiesen, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Ausserdem ist diese Fähigkeit Grundvoraussetzung für fast jedes Studium. Zudem findet es Combet wichtig, die Schülerinnen noch besser über die Studienfächer zu informieren. «Viele gängige Vorstellungen darüber sind nämlich nicht akkurat.» Zum Beispiel, dass es im Ingenieursstudium nur um Affinität zur Technik geht. «Auch in diesem Bereich sind zwischenmenschliche und kreative Fähigkeiten zentral, etwa bei der gemeinsamen Entwicklung von Prototypen.»
Literatur:
Benita Combet: Women’s aversion to majors that (seemingly) require systemizing skills causes gendered field of study choice. European Sociological Review (2023)
https://doi.org/10.1093/esr/jcad021